Scherenschnitte

Rede zur Ausstellungseröffnung “Christiane Latendorf, Horst Leifer — Zwei Stimmen im Schnee” in der Galerie im Geburtshaus Ernst Rietschels gehalten von Dieter Hoffmann am 21. Oktober 2006

Meine Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, bin ich in der falschen Ausstellung? Bin ich bei Horst Leifer und Christiane Latendorf? Oder bin ich bei Hänsel und Gretel — wie das? Die Ausstellung, die den beiden berühmten Märchenfiguren gilt, ist eine im Museum der Pfefferkuchen-Schauwerkstatt, die am 3. November eröffnet wird. Aber Pulsnitz ist nicht nur Pfefferkuchen- Stadt, sondern Kunststadt! Der Geburtsort Ernst Rietschels hat eine Tradition begründet, auf die nicht mehr verzichtet werden kann.
  Was nun aber “Hänsel und Gretel”? Man stelle sich Horst und Christiane vor, wenn Sie mir erlauben, beide Künstler hier — wie sie selber es taten — bei ihren Vornamen zu nennen, als wären wir im Märchen der Brüder Grimm. Ach, wie oft ist an der Dresdner Semperoper Humperdicks Musik zu “Hänsel und Gretel” erklungen. Horst und Christiane — Leifer und Latendorf — haben im dunklen Wald der Welt einander Mut gemacht, an der Dresdner Kunsthochschule, wo Leifer lehrte und Christiane Latendorf lernte. Beide hatten sie Gerhard Kettner als Schutzengel, einen Schutzengel, der gar nicht so aussah. Beide, der einstige Bergmann und die einstige Apothekerin, sie kam von der Ostsee, er ging an die Ostsee, beide also galten als “schwierig”, als “eigenwillig” — als dürften, sollten, müßten Künstler nicht eigenen Willen haben. Aber beide hatten auch immer wieder Fürsprecher, die sich ihrer als zwei “besonderen” Menschen annahmen.
  Zu solchen Fürsprechern, Helfern, treuen Freunden gehört — exemplarisch — Frau Schubert, die Hausherrin des Ernst-Rietschel-Geburtshauses, in dem sie ihnen diese Doppel-Ausstellung widmet, eine Art Weihnachtsmärchen
à la Humperdick.
  Im richtigen Märchen geraten die beiden Kinder allerdings an das Pfefferkuchenhaus einer Hexe. Und eine solche ist Sabine Schubert nun ganz und gar nicht — ganz im Gegenteil. Aber sie kann hexen! Was sie immer wieder an Ausstellungen zusammenbekommt, nach Pulsnitz holt, ab von Dresden, aber Dresden würdig, oft von Dresdn bewundert oder wert bewundert zu sein, das bedarf eigentlich keiner Worte und muß dennoch auch heute mit Entschiedenheit gesagt werden.
  Leifer hat seine H e i m a t in der Lausitz-Stadt Pulsnitz gefunden, deren Wappen eine Bärentatze zeigt. Sinnhafter könnte das nicht sein: eine Bärentatze!
Frau Schubert hat auch, was den weisen Frauen oft verübelt wurde in der Geschichte, heilende Kräfte. Die brauchte sie bei den selbstzerstörerischen Attacken des Berserkers Leifer — mit der Bärentatze — und den selbstverliererischen Spintisierereien — mit Vogel- oder Engelsflügeln — der Träumerin Christiane Latendorf…