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Zwei Stimmen im Schnee
…Träumerin Christiane Latendorf.
Leifers Mal- und Zeichenweise ist unruhig, fragmentarisch, ruinös. Seine Selbstbildnisse sind Protokolle des Verschwindens
aus dieser Welt, eines Mannes, den man realiter einmal als “Kerl wie ein Schrank” empfunden haben mochte — seine alte Kraft
sehen Sie mir gegenüber an der Holzskulptur, neben dem sanfteren Relief Ernst Rietschels.
Darf ich es sagen, daß ich über unsere Freundin Christiane Latendorf enttäuscht, ja wütend war, als sie neulich anrief und
verkündete, wie wäre zur Eröffnung der Ausstellung weit weg: “Ich bin in Georgien.” Also diesmal nicht Indien.
Ich machte mir Sorgen, Georgien ein Krisengebiet. Da fällt mir eine Anekdote ein, die mir in meiner frühen Jugend
die Witwe des Malers Ludwig von Hofmann erzählt hat: In Berlin vor dem Ersten Weltkrieg hatten Freunde für den notleidenden
Dichter Maximilian Dauthendey Geld gesammelt, damit er etwas zu essen habe; als sie ihm dann einen Besuch abstatteten,
um zu sehen, wie er sich vom Hunger erholt habe, trafen sie ihn in seiner leeren Wohnung auf einem herrlichen teuren
Teppich sitzend an — den hatte er sich von den Spenden gekauft. Nahrung für die Seele. Hoffen wir, daß die Georgien-Reise
für unsere Künstlerin auch Seelennahrung bedeutet.
Daß sie heute zur Feier der Doppel-Ausstellung nicht selbst in Pulsnitz ist, hat vielleicht auch mit geheimem Taktgefühl
zu tun. Leifer ist tot, kann seine Bilder hier nicht mehr sehen, nicht teilhaben am Eigenen und an der Komposition dieser
Ausstellung. Da will sie nicht als Überlebende, das Leben verkörpernde triumphieren. Das ist zu achten, dafür ist ihr zu danken.
Die Ausstellung, meine Damen und Herren, hat einen Titel, einen Generalnenner: “Zwei Stimmen im Schnee”, inmitten
menschlicher Kälte.
Von der Einladungskarte her kennen Sie die beiden Portraits, welche die Künstler voneinander gemacht haben. Beide sind
ausgestattet mit großen Augen, groß weil sich in ihnen Entsetzen spiegelt, fragende Angst in ihren, trotzige Angst in seinen.
Merkwürdig, wie sie, die somnambule Nicht-Realistin, ihn realistisch, protraitähnlich gezeichnet hat, er, der expressive
Realist, sie als Vorstellung, so unwirklich wie sie ist. Es sah hungernde Gotik; der breite Strohhut schwebt über ihr wie
ein Heiligenschein; sein Hut ist verwegen, wie für einen Roobin Hood. Verstruppt sind beide Bildnisse, Gesichter als
Landschaften der Seele.
In dieser Ausstellung zweier Freundschaftswesen habe ich eine merkwürdige Erfahrung gemacht. Und zwar diese: Die Welt Leifers, eine Welt körperlicher Krankheit zum Tode, hat etwas Natürliches, ein Vergehen und Eingehen in den Kreislauf der Natur. Seine Bilder und Zeichnungen sind natürlich, wenn gleich erschütternd. Wenngleich erschütternd sind sie natürlich. Die Krankenschwester, von ihm gezeichnet, ist selbst eine Leidende, sie sieht aus wie Christus als Schmerzensmann.
Otto Dix zeigt, wie aus den Schädeln der Toten im Schützengraben des Ersten Weltkrieges Grasbüschel sprießen. So weit muß es nicht erst kommen: Leifer sah das Gras schon aus den Köpfen der Lebenden wachsen… Insbesondere aus dem eigenen Gesicht.
Was verbindet die Landschaft mit dem Bildnis? Die Landschaft, die Architektur - hier die Ruine des Dresdner Taschenberg-Palais - wird zum Knochenberg, zum Ossuarium, kirchlich gesprochen. Und warum sollten wir denn nicht kirchlich sprechen. Oder sagen wir: religiös.
Wer Leifer nur in Reproduktionen kennt, der kennt ihn nicht, es kommt auf die Nuance an. Darin ergeht es Leifer wie dem Dresdner Theodor Rosenhauer. Zwar ist - ich hebe das noch einmal hervor - alles auf einen braunen Grundton gestimmt, doch leuchten daraus helle Silber, Blau, Grün und Gelb. Das Braun, von der Gründerzeit her lange verpönt, ist schon von der herbstlichen Lyrik Georg Trakls und dann von Oswald Spengler mit Hinweis auf die Alten Meister gerettet worden.
Dieter Hoffmann
Rede zur Ausstellungseröffnung “Christiane Latendorf, Horst Leifer — Zwei Stimmen im Schnee”
in der Galerie im Geburtshaus Ernst Rietschels
gehalten von Dieter Hoffmann
am 21. Oktober 2006
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